Ich glaube, es ist jetzt höchste Zeit, dass ich mich als Spezialist für strategische Unternehmensentwicklung bei KMU in die Diskussion um die Notwendigkeit einer Digitalisierungsstrategie einmische. Bisher habe ich dazu geschwiegen. Allerdings nicht, weil ich eine Digitalisierungsstrategie für unnötig halte, sondern, weil KMU in jedem Fall gut daran tun, ein visionäres Zukunftsbild mit einer daraus abgeleiteten Strategie zu entwickeln und diese systematisch und mit Nachdruck zu verfolgen. Ungeachtet, ob die Digitalisierung auf das aktuelle Geschäft drückt oder nicht.
Strategie braucht «grosse Lücke»
Eine klare Unternehmensstrategie mit konsequenter Umsetzung braucht es immer dann, wenn die Lücke zwischen dem Heute und dem angestrebten Morgen sehr gross ist. Ist dies nicht der Fall, dann kann man getrost auf eine Strategie und Vision verzichten und nach dem Prinzip «weiter wie bisher» arbeiten.
Die Lücke zwischen dem Heute und Morgen kann aus zwei Gründen sehr gross sein:
- Die Unternehmensinhaber und die Führung (in KMU sind dies meist die gleichen Menschen) verfolgen hohe unternehmerische Ambitionen. Sie geben sich nicht mit einer linearen Entwicklung ihres Geschäfts zufrieden. Sie sehen immense Chancen und wollen diese gezielt für Wachstum nutzen, um ihr Unternehmen auf eine neue Ebene zu entwickeln. Der Treiber dieser Lücke sind also der Ehrgeiz und ein starker Veränderungswille der Führung. Das Motiv ist intrinsisch.
- Die Veränderungen ausserhalb des Unternehmens laufen extrem schnell ab und sie sind fundamental. Fundamental sind sie einerseits dann, wenn sie direkt auf die Art und Weise, wie wir unser Geschäft betreiben (wir nennen dies «Geschäftsmodell») Einfluss haben. Ebenfalls fundamental sind sie, wenn die externen Veränderungen schmerzhaft auf die Wirtschaftlichkeit drücken. Mit dem Ergebnis, dass eben diese Wirtschaftlichkeit mit Hilfe von effizienteren Prozessen und weniger Kosteneinsatz wieder ins Lot gebracht werden muss, will die Wettbewerbsfähigkeit sichergestellt bleiben. In diesem Fall ist der Treiber der Lücke klar extrinsisch motiviert.
Auf den ersten Grund will ich nicht weiter eingehen. In meinem Verständnis ist es selbstverständlich, dass Unternehmensführungen nach Wachstum und Entwicklung ihres Unternehmens streben sollten. Zum Nutzen ihrer Kunden und daraus folgend, auch zum Nutzen des eigenen Unternehmens. Denn, dafür investieren sie extrem viel Zeit und Schweiss und übernehmen ein hohes Risiko. Fehlt ihnen dieses Motiv, sollte man konsequenterweise auch nicht von «Unternehmern» sprechen.
Digitaler Wandel als Musterbeispiel einer «grossen Lücke»
Die Digitalisierung hingegen ist der absolute Musterfall für den zweiten, oben dargelegten Grund einer grossen Lücke zwischen dem Heute und Morgen. Auch wenn sich diese Lücke bereits zu schliessen begonnen hat, sie ist nach wie vor unendlich gross.
Die Digitalisierung aller unserer Lebensbereiche und unseres ganzen wirtschaftlichen Handelns (B2C aber auch B2B) wird einschneidende Folgen haben:
- Die Mechanismen, wie Geschäfte in vielen Branchen wirtschaftlich erfolgreich getätigt werden, ändern sich grundlegend durch die Digitalisierung. Es entstehen komplett neue Geschäftsmodelle, welche vieles Alte überflüssig machen. Das sieht man heute bereits stark im Endconsumer Markt (Airbnb, Uber, Facebook, Booking.com, Digitec etc.) gilt aber – wenn auch mit zeitlicher Verzögerung – für den Business-to-Business Markt gleichermassen. Auch hier werden ganze Wertschöpfungsketten neu geordnet, Marktplayer werden überflüssig und analoge Vorgänge werden digitalisiert.
- Ergänzend dazu schafft es die Digitalisierung, dass der Kundennutzen oftmals um Faktoren verbessert wird. Damit steigen die Nutzenerwartungen der Kunden und gleichzeitig der Druck auf die «alten Unternehmen». Mit Effizienzsteigerungen im kleineren zweistelligen Prozentbereich (wenn überhaupt) ist dieser radikalen Steigerung des Kundennutzens nicht beizukommen. Wenn auch hier vor allem die B2C-Beispiele berühmt sind, diese Entwicklung revolutioniert auch das ganze B2B-Geschäft nachhaltig.
- Weiter kommt hinzu, dass die Digitalisierung bestehende Kostenstrukturen pulverisieren kann. Digitale Produkte können mit nahezu Null Grenzkosten multipliziert werden. Auf der anderen Seite werden nicht nur die Kosten gegen Null gedrückt, es entstehen gleichzeitig auch Ertragspotenziale, welche nahezu grenzenlos sind.
Effekte der Digitalisierung für Unternehmen
Die Folgen der Digitalisierung unserer ganzen (Wirtschafts)Welt bringen also zwei Effekte: Noch nie dagewesene Geschäftschancen einerseits, zerstörerische (sog. «disruptive») Risiken andererseits.
Erschwerend kommt hinzu, dass dieser Prozess vom analogen Heute zum digitalen Morgen – je nach Branche und Geschäft unterschiedlich – schnell und radikal (also an «der Wurzel») verläuft.
Zusammengefasst heisst dies also zweierlei:
- Der digitale Wandel beinhaltet naturgemäss eine sehr grosse Lücke zwischen dem Heute und dem Morgen.
- Die Transformationszeit vom Heute zum digitalen Morgen ist sehr kurz. Wir haben also keine Zeit zu verschwenden und müssen mit der Anpassungsarbeit sofort beginnen.
Digitalisierung braucht eine neue Strategie
Somit wird klar. Die Digitalisierung kann nicht bewältigt werden, indem wir tun, was wir immer schon getan haben. Auch wenn wir unsere Anstrengungen massiv verstärken würden. Mit «weiter wie bisher», mit halbherziger Unternehmensentwicklung oder mit kosmetischen Korrekturen werden wir scheitern. Wir brauchen einen «grossen Wurf». Einen, der den sich abzeichnenden digitalen Veränderungen in der Aussenwelt vollumfänglich gerecht wird. Wir brauchen also eine klare Strategie und – davor – eine zukunftsrobuste Vision (bzw. ein Zukunftsbild), welche die Grundlage dafür bildet.
Der Weg zu einer KMU-taugliche Zukunftsstrategie
Die Motive einer guten Strategie sollten allerdings weder Angst noch Panik sein. Produktiver sind Emotionen wie Freude, Neugier, Spannung, Ehrgeiz oder Stolz.
Bauen Sie bei der Entwicklung Ihres strategischen Wachstumsprogramms daher im ersten Schritt auf eine positiv aufgeladene Vision. Auf ein Zukunftsbild Ihres KMU, welches Sie und Ihre Mitarbeitenden inspiriert und motiviert.
Damit die Vision nicht im luftleeren Raum schwebt, müssen Sie sich bei ihrer Schaffung intensiv mit der (allgemeinen) Zukunft auseinandersetzen. Dazu ist folgendes zu tun:
- Was könnte uns die Zukunft bringen? Anhand von Trends und bereits sichtbaren Entwicklungen müssen wir uns ein Bild der möglichen Zukünfte machen. Wohin könnte die Reise gehen? Wie leben wir morgen? Wie arbeiten wir morgen? Welche Probleme werden unsere Kunden morgen haben? Diese und weitere Zukunftsfragen sind nicht einfach Kaffeesatzlesen, im Gegenteil, mögliche Antworten sind bereits heute erkennbar. Die Zukunft ist schon da, wir müssen sie bloss sehen.
- Welches sind die Überraschungen in der Zukunft? Neben den wahrscheinlichen Zukünften müssen uns auch die eher unwahrscheinlichen, überraschenden Zukünfte interessieren und wir sollten sie kennen. Idealerweise entwickeln wir für jede potentielle Überraschung – je nach ihrer Eintretenswahrscheinlichkeit – auch bereits eine Strategie zu ihrer Bewältigung.
- Welche Zukunftsoptionen machen für unser Geschäft Sinn? Kennen wir die wahrscheinlichen Zukünfte und die möglichen Überraschungen, so können wir daraus Strategieoptionen für unser KMU ableiten. Wir werden stets mehrere sinnvolle Möglichkeiten für die Entwicklung unseres Unternehmens finden. Wir kreieren also einen Auswahlkatalog von strategischen Möglichkeiten, die jetzt noch miteinander in Konkurrenz stehen. Die Auswahl erfolgt erst im nächsten Schritt.
- Welche Zukunft und Ausrichtung für unser KMU wollen wir anstreben? Im vierten Schritt entscheiden wir uns konkret für eine Zukunftsoption, die wir auf lange Sicht erreichen wollen und schaffen darauf aufbauend die Vision und das Zukunftsbild unseres Unternehmens.
Den Prozess zu einer inspirierenden und ambitionierten Vision habe ich im gleichnamigen Blogbeitrag bereits beschrieben. Wer noch tiefer einsteigen will, dem sei mein ebenfalls gleichnamiger Whitepaper-Leitfaden empfohlen.
Steht die Vision, so leiten wir anschliessend unsere Strategien ab und bringen sie in die Umsetzung. Doch dazu mehr in meinem nächsten Blogbeitrag.